Mächtige Magier – ein Naturgesetz? (Teil 2)

Im letzten Beitrag ging es darum, warum Zauberer mit steigender Erfahrung die profanen Helden überflügeln und was dagegen getan werden kann. Heute geht es um den Erfahrungsbereich davor. Wie kann Magie mächtig sein, ohne dass Magier übermächtig werden?

Magie muss mächtig sein. Wer würde auch einen Heilzauber verwenden, wenn profane Heilung besser wäre? Eben. Die Spielweltlogik fordert mächtige Magie. Doch (zu) mächtige Magier können den Gruppenfrieden gefährden. Das ist ein Spannungsfeld, in dem sich der Regeldesigner bewegt.

Einschränkungen der Magie…

Das entscheidende Mittel, um dieses Spannungsfeld aufzulösen, sind Einschränkungen der Magie. Wenn ein Magier Tote wiederbeleben kann, ist das per se unglaublich mächtig. Doch wenn im Gegenzug ein Dutzend Menschen töten muss, wird diese Macht eingeschränkt. Solche Einschränkungen sind in vielen Variationen denkbar. In manchen Spielwelten ist Magie prinzipiell eine finstere Kraft, die durch den Pakt mit Dämonen oder anderen finsteren Wesen erlangt wird. Oder Magie ist chaotisch und kann gewaltige Verheerungen anrichten. Oder die Magie speist sich aus der Lebenskraft des Zauberers und verzehrt ihn. In Aventurien sind diese Einschränkungen die begrenzte Astralkraft eines Zauberers und die unterschiedliche Zauberdauer. Beides sind eher moderate Einschränkungen. Das kann zu einem Problem werden. Denn je dramatischer diese Einschränkungen sind, desto mächtiger kann die Magie werden, ohne dass der Magier übermächtig wird. Feuerbälle, die ein Dutzend Feinde zerreißen? Kein Problem –  wenn der Magier zu 10% selbst zerfetzt wird. Niemand würde den Magier als übermächtig bezeichnen.

Diese Einschränkungen der Magie sind also absolut zentral, um das Gleichgewicht zwischen magischen und profanen Charakteren zu erhalten. Sollte der Feuerball-Magier das Risiko einer Selbstzerfetzung auf 0.5 % senken können, hätte er seine Macht vervielfacht. Alle möglichen, die Einschränkungen der Magie zu umgehen, müssen deswegen strengstens kontrolliert werden. Hier versagen viele Systeme. Der Grund dafür liegt wieder in den wirtschaftlichen Interessen (siehe letzter Beitrag). Je mehr Regeln es für die Magie gibt, desto mehr Tränke, Zauber, Vorteile oder Sonderfertigkeiten umgehen diese Einschränkungen. Diese Schlupflöcher untergraben die Einschränkungen und damit das Gleichgewicht zwischen magischen profanen Charakteren.

…und wie sie umgangen werden

Betrachten wir das im Detail am Beispiel von DSA4.1. Im System gibt es zahlreiche Möglichkeiten, diese Einschränkung zu umgehen. Beginnen wir mit der Astralenergie. Sie ist die Ressource, mit der ein Magier haushalten muss. Für Kämpfer wäre die Lebensenergie die wichtigste Ressource. Allerdings gibt es einen gewaltigen Unterschied zwischen beiden Ressourcen. Die Lebensenergie ist nach oben begrenzt, mehr als 10 Punkte kann sich kaum ein Held kaufen. Außerdem steigen die Kosten der LeP enorm an: Der erste Punkt kostet 16 Punkte, der zehnte Punkt schon 250 Punkte. Im Gegensatz dazu ist die Astralenergie nicht nach oben beschränkt. Die Astralpunkte verfügen – völlig untypisch für DSA – nicht einmal über steigende Kosten. Mit der großen Meditation erhält man 1 Astralpunkt für ca. 50-70 Punkte, ganz egal wie viele man schon hat. Im Gegenteil sinken die Kosten sogar mit steigender Leiteigenschaft, erfahrene Zauberer bekommen ihre Astralpunkte also sogar billiger. Dadurch ist es nur eine Frage der Erfahrung, bis ein Zauberer die Begrenzung durch Astralenergie abschütteln kann.

Viel Astralenergie ist nur dann nützlich, wenn man auch die Gelegenheit hat, sie einzusetzen. Entscheidend dabei ist die Zauberdauer, die zweite Einschränkung. Der Paralysis dauert beispielsweise 5 Aktionen. In einem Kampf von 15 Runden (=30 Aktionen) kann der Zauberer also 6 Paralysis zaubern. Selbst wenn er über hunderte Astralpunkte verfügt, könnte er nicht mehr zaubern. Doch hier kommen die spontanen Modifikationen ins Spiel. Zauberdauer verkürzen senkt die Zauberdauer für 5 ZfP um die Hälfte. Das bedeutet, wenn ich alle meine Zauber um 5 steigere, zaubere ich wie bisher, aber doppelt so schnell. Für Gildenmagier genügt sogar eine Steigerung um 3 Punkte. 5 Punkte bedeuten viermal so schnelle Zauber für einen Magier. Ein Kämpfer kann sich im Gegensatz dazu nie mehr als 3 Attacken pro KR ausführen, sich also nie mehr als auf 150% steigern. Für den Magier ist hingegen auch diese Begrenzung nur eine Frage der Erfahrung. Während ein Zauberer zu Spielstart nur 3 Paralysis pro Kampf zaubern kann (dann sind die Astralpunkte alle), kann ein extrem erfahrener Magier in derselben Zeit schon 15 Paralysis zaubern, sich also um 500% verbessern. Der Zauberer kann seine Einschränkungen also wesentlich besser umgehen.

Damit ist das Ende der Fahnenstange aber noch lange nicht erreicht. Denn noch fehlt die effektivste Möglichkeit, die Einschränkungen der Magie zu umgehen: Artefakte und der Zauberspeicher. Beide umgehen sogar beide Einschränkungen auf einmal, indem sie die Zauberdauer eliminieren und zusätzliche Astralpunkte zur Verfügung stellen.  So kann der Magier seine Macht noch einmal potenzieren und profane Charaktere endgültig weit hinter sich lassen.

Zuletzt möchte ich hervorheben, dass dieser lockere Umgang mit den Einschränkungen nicht auf DSA 4.1 beschränkt ist. DSA 4.1 habe ich nur als Beispiel genommen, weil ich diesen Umgang und seine Folgen dort am besten kenne. Insgesamt kranken viele Systeme am lockeren Umgang mit den Einschränkungen der Magie.

Wie geht Ilaris mit den Einschränkungen der Magie um?

Strenger. Ich habe genau abgewogen, inwieweit sich die Einschränkungen umgehen lassen. Das zeige ich am besten an einigen Beispielen.

  • Astralpunkte können nicht zu konstanten Kosten zugekauft werden. Ihre Kosten steigen genauso wie die aller anderen Werte.
  • Die Modifikation Kosten sparen ist extrem nützlich. Deswegen ist sie nicht frei verfügbar, sondern relativ teuer und erfordert eine hohe Klugheit.
  • Die schnellere Regeneration von Astralpunkten erfordert eine hohe Konstitution. Der Zauberer muss sich zwischen schneller Regeneration und anderen interessanten Vorteilen entscheiden. Diese Vorteile sind neben Kraftlinien die einzige Möglichkeit, schneller zu regenerieren.
  • Artefakte wurden auf drei Arten eingeschränkt. Erstens lösen sie ihre Zauber nicht mehr sofort aus, sondern nur etwas schneller. Zweitens sind die Zauber in komplexen Artefakten schwächer. Drittens speichern Artefakte auch einen Teil der Astralenergie ihres Erschaffers. Der Zauberer hat mit Artefakten mehr Zauber in petto, aber verfügt auch über weniger freie Astralenergie.
  • Allgemein ist der Regelumfang von Ilaris deutlich geringer. Dadurch sinkt die Anzahl potentieller Schlupflöcher und Synergien.

Damit bleiben die Einschränkungen der Magie weitgehend intakt. Die Magie darf mächtig sein, ohne dass profane Helden darunter leiden.

Liebe Grüße,

Curthan

5 Gedanken zu “Mächtige Magier – ein Naturgesetz? (Teil 2)

  1. Wichtig ist dabei auch das gefühlte Risiko – in meiner Hauptgruppe haben wir eine impulsive Feuerelementaristin ohne nennenswerte Nachteile im Magiebereich. Aber von ihren letzten fünf Ignisphaeri bzw. Ignifaxii waren zwei Patzer und einer ein Fall von spontaner Reaktion auf Gefahr an einem eher unpassenden Ort – Ignisphaero in beengten Räumlichkeiten ist halt schon ziemlich happig. Seitdem ist die Reaktion der Mithelden bei einem sich ankündigenden Feuerzauber erst einmal, Deckung zu suchen, obwohl objektiv ja das Risiko immer noch bei 0,5% liegt…

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  2. Hi! 🙂 Schöne Analyse, aber ich weiß nicht, ob das so für sich stehen kann.
    Ich erzähle selbst nun sicherlich seit… ich 14 bin und 2004 gewesen ist… DSA 4;
    aktuell vor allem eine Wildermark-Kampagne im hohen Highlevel-Bereich ( Die Helden haben jeweils schon ~ 20.000 Abenteuerpunkte geknackt ). Hier sind einige Zauberer dabei, allerdings ist deren Nützlichkeit regelmäßig gegen Null gegangen. Vor allem deshalb, weil ich das Setting sehr dicht halte und praktisch jeder einzelne gespielte Tag relevant ist – und manchmal an jedem einzelnen gespielten Tag mehrere relevante Szenen geschehen – in denen Sozial-Charaktere und Kämpfer regelmäßig und stark glänzen können. Währenddessen ist auch der 120 AsP Zauberer mit Meisterlicher Regeneration, semipermanenten Artefakten und Zauberspeicher plus Astralspeichern erstens am Oberende der Artefaktkontrolle, vor allem aber entweder fast permanent out of Mana wenn er nicht brutal haushaltet – oder: In größeren Kämpfen regelmäßig nur in kurzen Phasen ( zumeist direkt zu Beginn oder erst zum Großen Finale ) wirklich nützlich. Dasselbe trifft auf unseren horasischen Pistoliero zu, der zwar ( weil er Gyldenlandfahrer ist ) auch sogar eine absurde repetier-Windbüchse mit allem pi-pa-po hat… aber trotzdem nachdem er seine 3 Schuss Magazin verschossen hat erstmal 6 Kampfrunden nachladen muss.

    Am Ende des Tages ist es solcherart gekommen, dass jeder ausgefallene ( = Tote Held ) und jeder Neueinstieg vom Rest der Gruppe bekniet worden sind: Es müssen Krieger her! Und jeder ( sogar die Zauberer ) haben angefangen, viele Punkte in Kampffertigkeiten zu stecken.

    Der wichtigste Punkt lautet imho, dass Zauberer einen hohen Burst-Schaden haben, aber in längeren Encountern ( = Schlachten mit andauerndem Kampfgetümmel, Belagerungen die sich über Stunden und Stunden ziehen, Dungeoncrawls welche sich über große Zeit ziehen ) bei gleichzeitig hoher Erzähldichte ( = einem Ausbleiben der Beliebigkeit zwischen Encountern ) schnell an Relevanz verlieren. Gerade in DSA 4.x

    Andererseits: In vielen Situationen während meiner Jugend und auch in der mittleren Vergangenheit ist alles was du sagst zutreffend. Wenn man ein Reiseabenteuer spielt in welchem mehrere Tage zwischen „Encountern“ vergehen, falls man mit rotierenden Meistern Abenteuer spielt, die sich vor allem auf wenige relevante „Encounter“ beschränken und dann große „Leerlaufzeiten“ zwischen den Abenteuern entstehen – Dann ist der Zauberer immer voll hochgepumpt und einsatzbereit zu jeder Situation und kommt schnell wie ein Allheilmittel und übermächtig vor.

    Eine ausgewogenere Erzählperspektive, gesteigerte Handlungsdichte und vor allem eine ( Hartwurstige ) Anwendung von DSA 4.1 führen schnell dazu, dass Zauberer ziemliche Nulpen sind. Denn während der Zwerg und der Krieger nach einem ganzen Tag im Sattel noch locker unterhalb der Schwelle für Überanstrengung sitzen, wird der Zauberer schnell auf dem Zahnfleisch gehen. Während Zwerg und Krieger einen Kampf laaaange fortführen können und zwischenzeitlich nur regelmäßig verschnaufen müssen um nicht zuviel Erschöpfung anzusammeln, wird der Zauberer schnell aus der Puste sein – körperlich und astral.

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    1. Keine Frage, mit einer ausreichend hohen Erzähldichte kann man einen Zauberer astral aushungern. Die Voraussetzung dafür ist aber, dass Astralenergie eine begrenzende Ressource ist. Hätte er unendlich AsP, würde das mit dem Aushungern auch nicht funktionieren. Insofern ist es immer wichtig, dass es Grenzen gibt. Aber wie einschränkend diese Grenzen sind, hängt vom Spielstil ab.

      Wie du sagst ist die Astralenergie bei dichtem Spiel eine stark limitierende Ressource. Wir spielen eine Kampagne auf der blutigen See, bei der die Helden oft mit dem Schiff reisen. Naturgemäß liegen da meist ein paar Tage zwischen den Szenen, sodass die Astralenergie meistens ausreichend vorhanden ist. Diese Abhängigkeit vom Spielstil ist aus Sicht der Regelmechanik ein massives Problem. Denn eigentlich sollte die Stärke von Zauberern nicht allzu sehr vom Spielstil abhängen, sondern immer ungefähr ähnlich sein. Allerdings fällt mir da spontan auch keine gute Lösung ein *grübel*

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  3. Ja, das stimmt. Viele Zauberer können schon in die bredoullie kommen, sobald zwo oder drei encounter am selben tag passieren, oder längere kämpfe stattfinden. Das hängt natürlich auch vom power-niveau ab.

    Die einfache Antwort wäre, imho:
    > Zauberer sollten genauso wie Krieger etc an Ausdauer gekoppelt sein
    > Zauberei an sich sollte so gebalanced sein, dass sie on par mit den meisten Kämpfern ist
    > Astralenergie als einschränkende Ressource kann dann wegfallen.

    In DSA ist das Problem vor allem, dass Zauberei zwar relativ Bodenständig ist – verglichen mit anderen Rollenspielen – aber immernoch und trotzdem sehr mächtig. D.h. ein Angleichen dieser Dinge wie oben vorgeschlagen von mir eben, würde zwangsläufig eine verminderung der Mächtigkeit von Zauberei bedeuten.

    Allerdings ist das schon ein großer Hack – keine Ahnung wie man das umsetzen würde, und vor allem wie man den Aufwand bewältigen würde 😀

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