DSA4.1 simuliert: Ist der gezielte Stich effektiv?

Mittlerweile ist DSA 4.1 schon 10 Jahre alt. Fast genauso alt ist die Diskussion um den gezielten Stich. Ist er toll? Ist er nutzlos? Oder etwas dazwischen? Gar nicht leicht zu sagen, denn das komplexe Kampfsystem macht Abschätzungen schwierig. Ich habe deswegen ein kleines Simulationsprogramm gebastelt, mit dem ich diese Fragen beantworten kann.

Wie funktioniert die Simulation?

Eigentlich ganz einfach: Ein Angreifer prügelt auf einen Verteidiger ein, bis der kampfunfähig umfällt – und das 100000 Mal. Alle Datenpunkte, die du unten siehst, sind also der Durchschnitt aus 100000 Kämpfen. Dabei notiert das Programm, wann der Verteidiger kampfunfähig wird und wodurch (niedrige LeP, Dreifachwunde in einer Zone oder Wundschmerz). Mehr Details  zum Simulationsprogramm und den verwendeten Regelauslegungen findest du am Ende des Beitrags.

Ein großes Problem bei einer solchen Simulation ist,  dass ihr Ergebnis von ziemlich vielen Werten abhängt. Wichtig sind die Attacke, die Ansage und der Waffenschaden des Angreifers, und für die Parade, die Wundschwelle, der Rüstungsschutz, die Lebenspunkte, der Selbstbeherrschungs-TaW und die Selbstbeherrschungs-Attribute des Verteidigers. Puh.

Um das alles zu vereinfachen, habe ich zwei Tricks angewandt: Erstens vergleiche ich den Gezielten Stich immer nur mit dem Wuchtschlag mit der gleichen Erschwernis. Also einen GS +7 mit einem WS +7. Klar ist der WS +7 nicht immer die klügste Option, aber es geht ja um einen Vergleich der Manöver, nicht um das schlauste Kampfverhalten. Zweitens zähle ich nicht die KR, bis der Verteidiger kampfunfähig wird, sondern die Treffer. Denn damit spielen die Attacke- und Paradewerte der Kämpfer keine Rolle mehr. Dazu ein kleines Beispiel:

Die Simulation ergibt: Um den Verteidiger kampfunfähig zu machen, braucht der Angreifer Balrik 3 Treffer mit einem gezielten Stich +7 oder 4 Treffer mit einem Wuchtschlag +7. Der gezielte Stich ist damit immer schneller, egal ob der Verteidiger PA 8 oder PA 19 hat. (Auch wenn der Angreifer in letzterem Fall ziemlich lange brauchen wird, um seine 3 gezielten Stiche zu schaffen – für seine 4 Wuchtschläge braucht er noch länger.)

Mit diesen Tricks sind die Attacke, die Parade und die Ansage schon einmal aus dem Spiel und die Ergebnisse der Simulation gelten für alle Kampfwerte. Praktisch.

Pirat und Seesöldner – die Simulation an zwei Beispielen…

Beispielhafte Gegner habe ich dem Abenteuer Bahamuts Ruf entnommen, das sehr ordentliche Gegnerwerte verwendet. Ein eher schwacher Gegner ist der erfahrene Pirat (32 LeP, WS 7, RS 1, Selbstbeherrschung 7). Die Attribute für Selbstbeherrschung sind leider nicht angegeben, ich habe sie auf 13/13/13 geschätzt. Der Angreifer richtet immer 1W6+6 TP an – passend für einen erfahrenen Kämpfer mit leicht verbesserter Waffe.

Pirat unerfahren 3p0 1p8 1p5
Simulationsergebnisse für den erfahrenen Piraten aus Bahamuts Ruf.

Die Grafik zeigt dir zwei verschiedene Dinge. Im oberen Teil siehst du, wie viele Verteidiger nach 1,2,3,… Kampfrunden noch auf den Beinen sind. Der untere Teil schlüsselt auf, wodurch die Verteidiger kampfunfähig wurden. Ohne Manöver sind nach 4 Treffern fast alle Verteidiger erledigt, je ungefähr zur Hälfte durch niedrige LeP oder Wundschmerz. Mit Manövern geht der Kampf wesentlich schneller zu Ende, wobei der Wuchtschlag die Nase klar vorne hat. Er braucht nur 1,5 Treffer bis zur Kampfunfähigkeit, der gezielte Stich 1,8. Das heißt, der Wuchtschlag ist etwa 20 % schneller. Interessant ist auch die Ursache der Kampfunfähigkeit – fast alle Kämpfer fallen dem Wundschmerz zum Opfer und dort hat der Wuchtschlag wegen des höheren Schadens den Vorteil auf seiner Seite. Dreifachwunden oder niedrige LeP spielen nur eine kleine Rolle.

Doch der Pirat ist natürlich ein schwacher Gegner, während der erfahrene Seesoldat (34 LeP, WS 7, RS 5, Selbstbeherrschung 9, Attribute geschätzt 13/13/13) schon eine größere Herausforderung ist. Das spiegelt sich auch in den Ursachen der Kampfunfähigkeit wieder. Ohne Manöver bleibt nur das mühsame und langwierige verringern der LeP. Mit Manövern ist der Wundschmerz wieder die häufigste Ursache, allerdings viel weniger häufig als noch beim Piraten. Und im Gegensatz zum Piraten sind beide Manöver fast genau gleich effektiv – nach 2,2 Treffern liegt der Seesoldat am Boden.

Seesöldner unerfahren 9p0 2p2 2p2
Simulationsergebnisse für den unerfahrenen Seesöldner aus Bahamuts Ruf.

…und systematisch

Nun sind die Simulationen mit Pirat und Seesoldat zwar ein interessanter Startpunkt, aber die meisten Gegner sind leider völlig anders. Trotzdem war der Seesoldat ein Glücksgriff, weil bei ihm Manöver gleich stark waren. Die Waage war genau ausbalanciert. Jetzt wollte ich mit den Werten spielen und sehen, wann sie sich in welche Richtung neigt.

Dazu habe ich die TP, die LeP, die WS und die Selbstbeherrschung variiert und die benötigten Treffer bis zum KO gezählt. Das Ergebnis sehr ihr unten. Ich fand es extrem überraschend. Wenn man all diese Werte verändert passiert… fast gar nichts! Zwar wird der Kampf insgesamt kürzer oder länger, aber beide Manöver sind fast immer gleich gut. Okay, bei hohen LeP ist der gezielte Stich stärker, bei niedrigen LeP der Wuchtschlag. Und bei sehr niedrigen Wundschwellen hat auch der gezielte Stich die Nase vorne. Aber die Unterschiede sind minimal. Meistens macht das Manöver keinen spürbaren Unterschied.

Einflussfaktoren gesammelt
Veränderung von TP, LeP, WS und Selbstbeherrschungs-TaW und ihre Auswirkung auf die beiden Manöver. Im relevanten Wertebereich sind kaum Unterschiede zu bemerken.
RS variiert
Variation des RS. Bei niedrigem RS ist der Wuchtschlag effektiver, bei hohem RS der GS.

Doch ein Wert ist ganz entscheidend – der Rüstungsschutz. Variiert man den ihn, zeigen sich ganz massive Unterschiede zwischen den Manövern. Dem gezielten Stich ist der Rüstungsschutz völlig egal, da er ihn ohnehin ignoriert. Alle Unterschiede der roten Linie sind schlichtweg den Zufall geschuldet, der auch bei 100000 Kämpfen noch nicht ganz bedeutungslos ist. Der Wuchtschlag wird hingegen immer schwächer, je höher der RS wird.

Die Stufen beim Wuchtschlag entstehen dadurch, dass bei ungeraden Rüstungsschutz-Werten die Ansage um +1 steigt. Erhöht man den Rüstungsschutz von 2 auf 3, steigt die Ansage des gezielten Stichs (und des Wuchtschlags) von +5 auf +6. Damit richtet der Wuchtschlag 1 TP mehr an. Also steigt der RS um +1 und die TP um +1 und alles bleibt beim Alten. Erhöht man aber den Rüstungsschutz von 3 auf 4, bleibt die Ansage und der Schaden des Wuchtschlags gleich. Der Rüstungsschutz erhöht sich hingegen trotzdem und man benötigt mehr Wuchtschläge bis zur Kampfunfähigkeit. Die Neigung der Stufen liegt wieder an Ungenauigkeiten der Simulation.

Beide Linien zusammen ergeben ein klares Bild. Bei einem Rüstungsschutz von 0-3 ist der Wuchtschlag besser. Bei einem Rüstungsschutz von 4-5 sind beide Manöver gleichauf. Und bei einem Rüstungsschutz von 6 oder mehr zieht der gezielte Stich davon.

Fazit

Ob der gezielte Stich effektiv ist, hängt nur von einem Wert ab – dem Rüstungsschutz des Verteidigers. Bis zu einem Rüstungsschutz von 3 ist der Wuchtschlag klar besser, ab einem Rüstungsschutz von 6 der gezielte Stich.

Allerdings ist der Wuchtschlag ein viel allgemeineres Manöver. Er ist effektiv gegen Dämonen, Untote, Golems und fremdartige Tiere und funktioniert auch gegen Schildkämpfer. Der gezielte Stich ist hingegen nur gegen humanoide Gegner ohne Schild und mit einem RS von 6 oder höher sinnvoll. Diese sind nicht sehr häufig. Und selbst in solchen Situationen benötigt man enorm hohe Werte, denn einen gezielten Stich +7 muss man erst einmal riskieren können.

All das bringt mich zum Fazit: Wenn man den Wuchtschlag schon hat, kann man auf den gezielten Stich sehr gut verzichten. Dann ist der gezielte Stich nur in Verbindung mit dem Waffenmeister interessant. Für Fechtwaffenkämpfer lohnt sich der gezielte Stich natürlich trotzdem und man kann ab RS 4 gut mithalten.

Liebe Grüße,
Curthan

 


Details zur Simulation und Regelauslegung

Die Regeln zum gezielten Stich und Wundschmerz sind in einigen Punkten unklar. Ich musste deswegen einige Regelauslegungen wählen, wobei ich mich an der vorherrschenden Mehrheitsmeinung im DSA4-Forum orientiert habe.

  • Der gezielte Stich richtet in jedem Fall eine Zusatzwunde an.
  • Jeder Angriff, dessen SP die WS des Verteidigers überschreiten, erfordert eine einzige Wundschmerzprobe. Diese ist um die SP über der (gesenkten) WS erschwert.

Wie bei jeder Simulation ist es wichtig zu wissen, was die Simulation berücksichtigt und was nicht.

  • Die Simulation verwendet Zonenwunden.
  • Der RS ist in jeder Zone gleich.
  • Wunden oder die Kampfunfähigkeit unter 5 LeP können nicht ignoriert werden,
  • Der Bonusschaden durch Brust- und Bauchwunden wird berücksichtigt.
  • Abzüge durch Wunden oder niedrige Lebensenergie werden nicht berücksichtigt. Da hier aber die Treffer gezählt werden, ändert das nichts. (Egal welche PA der Verteidiger hat, ich brauche immer gleich viele Treffer, um ihn kampfunfähig zu machen.)

Technisches

Die Simulation basiert auf einem Matlab-Script mit zwei Funktionen dsa4kampf und dsa4analyse. Der Quellcode ist zu lang, um ihn hier zu veröffentlichen. Auf Anfrage teile ich ihn aber gerne.

 

8 Gedanken zu “DSA4.1 simuliert: Ist der gezielte Stich effektiv?

  1. Ich bin zwar kein Powergamer oder Theoretiker sondern mehr Storyteller aber als Mathematiker finde ich sowas dennoch sehr spannend

    Herzlichen Dank für deine Rechnung. Die hilft mir enorm weiter um meine SCs kampfunfähig zu prügeln 😀

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  2. Ich finde die Analyse sehr gut durchgeführt. Die Frage ist für mich, ob man die Ansage von Manövern nicht beliebig hoch zulässt, damit man sich als Designer eben nicht all das durchrechnen muss.
    Das hat DSA 5 auch auf diese Weise gelöst.
    Noch dazu ergibt es relativ wenig Sinn, dass man tatsächlich „beliebig stark“ zuhauen kann.
    Gibt es in Ilaris einen Wuchtschlag beziehungsweise Manöver mit beliebig hohen Ansagen?

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    1. Ich habe Ilaris mit dem Ziel designt, die Freiheit der Spieler nur dort zu beschränken, wo es notwendig ist. Natürlich muss man dann diese Möglichkeiten auch durchrechnen und berücksichtigen, was für den Regeldesigner zusätzlichen Aufwand bedeutet. Die zusätzliche Freiheit für die Spieler ist mir das aber mehr als wert – ich möchte sie nicht wie in DSA5 auf mickrige +6 TP beschränken, zumindest nicht wenn es nicht notwendig ist.

      Im Fall dieser Manöver war das meiner Meinung nach nicht notwendig. Es gibt etwa einen Wuchtschlag mit theoretisch beliebig hoher Ansage. Das ist aber in den meisten Fällen ziemlich sinnlos, weil der Hammerschlag oder der Todesstoß bessere Optionen sind. Und in fast jedem Fall sind letztere Manöver auch gefährlicher. Deswegen sah ich keinen Grund, hier mit Sonderregeln einzugreifen.

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    1. Wie im Blog geschrieben, ist ein so hoher Wuchtschlag sicher nicht das optimale Kampfverhalten. Darum geht es aber nicht. Hier geht es um den Vergleich der Manöver. Und wenn der gezielte Stich gegen den gleich hohen Wuchtschlag verliert, verliert er gegen den niedrigeren Wuchtschlag erst recht. Sonst hat er zumindest eine Chance.

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